Da ich berufsmäßig viel mit Playmobil spiele, rollen sich mir regelmäßig die Zehennägel auf, wenn ich Kommentare wie den folgenden lese:
Natürlich nicht wegen des Lobes, das ist toll, sondern wegen Lego. Wer den Unterschied zwischen Playmobil und Lego nicht kennt, war offensichtlich nie ein Kind. Also in Europa oder der wohlhabenden Restwelt. Also seit den 1970ern. Es ist nicht so, dass ich Lego nicht mag. Als Kind habe ich viel mehr mit Lego als mit Playmobil gespielt, obwohl es von beiden Spielzeugspezies ausreichend Angehörige in unserem Hause und natürlich im Hause von Mitschülern und Cousins gab. Für diejenigen, die immer noch keine klare Unterscheidung vor Augen haben:
Jedenfalls sehen typische Vertreter heute so aus. Playmobil: runde Formen, 7,5 cm vs. Lego: eckige Formen, 4,2 cm. Und jetzt, wo Sies vor Augen haben, erinnern Sie sich sicher, dass es da auch Animations-Kinofilme mit Legofiguren gibt (z.B. ein Batman-Verschnitt), ebenso wie es Playmobilfiguren mit dem Antlitz von Fernsehfiguren gibt (aktuell „Dragons“). Die Produktwelt sowohl von Lego als auch von Playmobil ist heute unendlich groß und unübersichtlich; außer alten weisen Mitarbeitern der beiden Firmen wird wohl niemand mehr wissen, wie viele unterschiedliche Produkte die beiden Konzerne über die Jahrzehnte entwickelt haben. Einerseits folgt die Diversifizierung dieser Spielzeuge damit der Logik des Kapitalismus (Neu! Neu! Neu!), andererseits dem gesellschaftlichen Megatrend der massiven Fragmentierung in Klein- und Kleinstgruppen. Es spielen heute nicht mehr alle Kinder mit DEM einen Spielzeug, kaum, dass mal alle Kinder im gleichen Alter alle EINEN Film sehen wollen – nein, für jedes spezifische Einzelinteresse gibt es Spezialprodukte, die teuer erworben werden können. Das war nicht immer so. In meiner Kindheit sahen die beiden Hauptprodukte der Firmen typischerweise so aus:
Playmobil-MÄNNCHEN (Frauen gabs erst nach und nach) und Lego-STEINE. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich lieber mit Lego gespielt habe: Es waren Bauklötze für Fortgeschrittene, mit denen man Gebäude, Raumschiffe, Welten konstruieren konnte; Puppen interessierten mich damals nicht so sehr. Ohne dass Playmobil – soweit ich weiß – sich jemals exklusiv an Mädchen und Lego exklusiv an Jungs gerichtet hätte, fand doch zumindest in meinem Elternhaus durchaus eine automatische Zuordnung zu den traditionellen Interessengebieten von männlichen und weiblichen Kindern statt: Jungen werden Ingenieur und Mädchen kümmern sich um Menschen. Glücklicherweise habe ich dann doch auch ab und zu mit Playmobil gespielt, sonst wär ich noch Ingenieur geworden. Nichts gegen Ingenieure, aber deren Job würde ich halt nicht machen wollen. Und seit meiner persönlichen Wiederentdeckung von Playmobil zu beruflichen Zwecken schätze ich die Tatsache, dass dieses Spielzeug den Menschen in Form einer Figur in den Mittelpunkt stellt. Auch wenn im Reiche Lego mittlerweile wahrscheinlich viel mehr und viel unterschiedliche Leute leben als in Playmoland, besteht der Unterschied bis heute: man SPIELT mit Playmobil und man BAUT mit Lego. Wer sprachspielerisch interessiert ist, kann das sogar auf die linguistische Ebene herunterbrechen; bei PLAYmobil liegt es auf der Hand, und auch wenn das Wort „Lego“ eine Zusammenziehung der dänischen Worte „legt godt“ (= „spielt gut“) ist, klingt doch etwas anderes heraus, nämlich das lateinische „lego“ (= „ich lese“), das wiederum in engstmöglicher Verbindung mit seinem griechischen Großonkel „logos“ steht, und da geht’s nun gar nicht mehr um Äußerlichkeiten wie die Form des Menschen, sondern um „Geist, Verstand, Wort“. Lego ist ein logisches Spielzeug, und auch wenn Playmobil natürlich ebenfalls genormt ist, ist es wesentlich unpraktischer, weil menschlicher. Ich meine das nicht als philosophisches Plädoyer dafür, dass Sie Ihr Kind lieber mit Playmobil als mit Lego spielen lassen sollten – von mir aus mit beidem oder keinem, es wird so oder so keinen Schaden nehmen –, sondern als Grund dafür, weshalb ich bei meinem Projekt SOMMERS WELTLITERATUR TO GO mit Playmobil und nicht mit Lego hantiere. Denn bei den Geschichten, die ich da erzähle, stehen nicht Dinge, sondern Menschen im Mittelpunkt.
Aus Lego werden seit vielen Jahren ganz hervorragende Animationsfilme gemacht, die Action- oder Literaturklassiker nachstellen, auf Hochglanz poliert sind und sehr elegant und fertig wirken, die so genannten „Brickfilms“. Das ist mit Playmobil ungleich schwieriger, denn mangels Steckverbindungen lässt sich diese Spielzeugart einfach nicht so genau positionieren und milimeterweise vorwärtsbewegen, um die Illusion von eigenständiger Bewegung zu erzeugen. Der Witz ist, dass Kinder beim Spielen auf solche Perfektion in keiner Weise angewiesen sind, um Spaß zu haben. Die große, selbstverständliche Leistung, die jedes Kind beim Spielen völlig mühelos vollbringt, ist es, Puppen zum Leben zu erwecken. Oder nehmen Sie Marionetten – wer schon einmal gutes Figurentheater gesehen hat, ist sich der Lebendigkeit dieser Darsteller sehr bewusst, mancher schwört, dass sich die Mimik der hölzernen Kollegen zwischendurch verändert hat. Die simple, ursprünglich völlig neutrale Puppe, die Playmobil darstellt, ist meines Erachtens ein gutes Spielfeld für die Imagination meiner Zuschauer, eine gute Projektionsfläche, auf der sie emotionale Gesichtsausdrücke, athletischen Körpereinsatz oder nonverbales Miteinander „sehen“ können, wo keines ist.
Insofern schieße ich mir natürlich selbst ins Bein, je differenzierter und „naturalistischer“ die Ausstattung und vor allem die Besetzung der Videos wird: Ich will die Geschichten nicht wie einen Hollywoodfilm ausmalen, sondern sie spielen – und die Zuschauer sollen mitspielen. Andererseits möchte ich natürlich „schön“ spielen, und suche nach den „richtigen“ Besetzungen für meine Filmchen, und auf dieser Mission kann man in den unendlichen Weiten von Playmoland durchaus mal sein Ziel aus den Augen verlieren und sich verdaddeln. Mein Freund und Verbündeter auf dem Weg zur phantasievollen Erspielung von Weltliteratur ist deshalb die Zeitnot: Da ich mich seit zweieinhalb Jahren damit quäle, mindestens ein Werk pro Woche zu verplaymobilisieren, ist es völlig ausgeschlossen, dass ich irgendeinen Grad von Perfektion erreiche, weder inhaltlich, noch in der spielerischen oder technischen Umsetzung. (Weil ich kein Studio und kein Team habe, sondern ein Ein-Mann-Betrieb bin). Und da komm ich zu einem zweiten typischen Kommentar, der so oder ähnlich immer mal wieder unter meinen Videos auftaucht:
Natürlich ärgere ich mich, wenn mir vorgehalten wird, dass ich Fehler mache. In diesem Fall habe ich nachgefragt, der Kommentator hat mir geantwortet, und er mag in mancher Hinsicht recht haben. Es blutet mir das Herz angesichts der Tatsache, dass ich die Videos nicht schnell korrigieren kann – YouTube verunmöglicht das, ich könnte höchstens das Video komplett neu hochladen, womit die bisherigen Clickzahlen, ein wesentliches Kapital, verlorengingen. Also kann ich nur zustimmen, widersprechen, diskutieren, kommentieren, mich auseinandersetzen – und versuchen mir eine größere Gelassenheit zuzulegen, wenn ich mit der Unvollkommenheit dieser Werke (die ich natürlich immer gleich als Unvollkommenheit meiner selbst empfinde) konfrontiert werde. Auf einer anderen Ebene aber ist es gerade diese Unvollkommenheit, die ich sowohl ästhetisch als auch inhaltlich für ganz entscheidend halte. Sie macht dem Publikum deutlich: „Hey, ich erzähle euch eine Geschichte, die ich für wichtig halte. Die Geschichte kann man auch anders erzählen, denn ich bin auch nur ein Mensch und das Ganze ist nur meine Meinung. Wenn Ihr anderer Meinung seid, dann erzählt doch eure Version der Geschichte, und wenn ich dabei nicht einschlafe, schau ich sie mir gern an.“ Also alles in allem: Lego ist cool und Brickfilms sind slick, aber Playmo und ich, wir alten Schlachtrösser, spielen gern ein bisschen altmodischer und crazier.
Grafiken mit Fotos von https://steigerlegal.ch/wp-content/uploads/2013/12/saulgoodman_lego_002.jpg und https://free3d.com/imgd/l47649-lego-brick-8×2-60034.png; Kommentare aus meinem YouTube-Kanal.