Ein Beitrag zur #Blogparade #TheaterimNetz der Kulturfritzen.
Wenn ich mal Zeit hätte, würde ich eine Studie über webbasierte oder webverwebte oder netzvernetzte Theaterprojekte machen. Da gibt’s nämlich viel mehr, als man so kennt. Zum Beispiel PHONE HOME, eine Kooperation von Pathos München, Highway Productions Athen und Upstart Theatre London, für das gerade die Recherchephase läuft – aber dazu später. Ich hab ja vorletzte Woche über das Livestreaming-Projekt in Ulm erzählt, das m.E. ein Schritt in die richtige Richtung ist, aber eben nur ein Schritt: Denn die Liveübertragung von Theater, selbst wenn sie von Chats und interaktiven Publikumsgesprächen flankiert wird, ist nicht viel was anderes als Fernsehen. Die Demokratisierung der Videoübertragung durch Livestreaming hat logischerweise ein viel größeres Potential: Viele Sender. Mikel Bower hat es in seinem Beitrag Lasset uns die Theater benetzen! neben vielen anderen Dingen angerissen: Der Input über das Netz IN die Theater muss stärker genutzt werden.
Vor zwei Jahren habe ich ein Theaterprojekt konzipiert, das sich mit dem Thema Flucht und Migration beschäftigt. REFUGIUM war als Kooperationsprojekt geplant, das gleichzeitig auf drei Bühnen, nämlich einmal in Nordafrika, einmal in Griechenland und einmal in Deutschland spielt und über Videokonferenzen miteinander verbunden ist. Eine „Räuberpistole“ mit utopischem Anteil: Eine Schlepperfirma macht auf ethischen Kapitalismus, garantiert ihren Kunden eine sichere Übersiedlung nach Europa und für jeden Vollzahler wird ein Mittelloser gratis transportiert. Das kann – auf Grund der Gier von einzelnen Beteiligten – auf Dauer nicht gut gehen, und so zerfleischen sich die Filialen in Tunis und Athen ebenso wie die Firmenzentrale in Deutschland und das Geschäft scheitert am Ende. Meine Idee war, drei Handlungsstränge für die drei Theater zu schreiben, und jeweils Videokonferenzen als gemeinsame Szenen. Während es mir in Griechenland gelang, einen guten Kontakt zum Staatstheater in Thessaloniki und dem griechischen Autor und Regisseur Yannis Kalavrianos zu etablieren, klappte das leider in Nordafrika nicht. Schließlich musste ich einsehen, dass die Vorlaufzeit für eine Realisierung 2014 zu knapp war und REFUGIUM wurde – als konventionelles, nicht-vernetztes Stück – in Ulm gespielt.
Die Idee stand noch im Raum und so suchten Yannis und ich im Sommer letzten Jahres neue Partner, um das Projekt noch einmal anzugehen – PHONE HOME wurde geboren. Mit dem Engländer Tom Mansfield kam ein dritter Partner hinzu, gemeinsam erarbeiteten wir ein neues Konzept: Ziel ist die Erarbeitung eines vernetzten Theaterstücks, das simultan auf drei durch Videokonferenzen verbundenen Bühnen in London, München und Athen spielt. Der Grund für diese Vernetzung: Wir wollen uns in PHONE HOME mit den Schwierigkeiten, Reibungen, Missverständnissen und Lügen in der Kommunikation rund um das Thema Flucht und Migration beschäftigen. Anders als bei REFUGIUM soll das Ergebnis kein konventionelles Stück mit Masterstory sein, sondern eine Collage aus Szenen, ein Mosaik. Im April haben wir eine EU-Förderung im Rahmen des Programms „Creative Europe“ für unser Projekt erhalten.
Welche Geschichten werden wir erzählen? Wie sieht das auf der Bühne aus? Beide Fragen können wir momentan noch nicht definitiv beantworten, beides ist Gegenstand unserer Forschungsarbeit. Seit Oktober finden parallel in den drei Städten Theaterworkshops für Geflüchtete und Daheimgebliebene statt, in denen wir uns ganz pragmatisch mit kreativer Kommunikation beschäftigen und versuchen herauszufinden, wie wir sprachliche und kulturelle Grenzen in der künstlerischen Arbeit überwinden können. Dabei sammeln Gleichzeitig testen und erproben wir Möglichkeiten, elektronische Kommunikation auf die Bühne zu bringen. Tom Mansfield arbeitet z.B. zur Zeit an der Universität von Birmingham an einer Inszenierung von Caryl Churchills LOVE AND INFORMATION und lotet dabei Möglichkeiten des Einsatzes von Smartphones auf der Bühne aus. Die Grundverabredung ist, dass auf jeder der drei Bühnen zwei Liveübertragungen von den anderen beiden Bühnen statt finden; welche Medien (z.B. Livestreams von außen, Projektionen von Livechats auf der Bühne etc.) wir noch einbinden, werden wir sehen. PHONE HOME, das im Oktober 2016 auf die Bühnen kommt, wird definitiv ein Stück sein, bei dem das Publikum NICHT aufgefordert wird, die Mobiltelefone auszuschalten; natürlich werden alle Vorstellungen live auf der Projektwebseite übertragen. Dort haben wir damit begonnen, unsere Erfahrungen zusammen zu tragen – es wird sich in den nächsten Monaten noch viel tun.
Abschließend noch einmal zu meiner Eingangsbemerkung zurück: Es gibt schon eine ganze Menge vernetzte Projekte. Stellvertretend eine kurze Beschreibung von OPEN CALL von Andreas Bachmair und Andrew Fremont-Smith:
Die Performance nutzte die Chatplattform CHATROULETTE, um kurze, vorbereitete Szenen mit Freiwilligen aus dem Chat zu improvisieren. Der Performer Andreas Bachmair zeigte sich vor Publikum im Chat und versuchte so zunächst, Mitspieler zu finden – eine große Hürde, denn die Situation war für die User im Chat natürlich völlig unerwartet. Nach einem Warm-Up, in dem es um die Freiwilligen im Chat ging, wurde sowohl mit Hilfe des Publikums als auch mit von den Chat-Usern gelesenen Texten Szenen improvisiert/gespielt. Leider habe ich die Performance nicht persönlich erlebt, sie scheint mir aber eine wundervolle Etüde zu den Möglichkeiten zu sein, die Welt ins Theater zu bringen.